#unneutralWir haben ein Statement verfasst, das zahlreiche namhafte Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen unterzeichnet haben. Unser Ziel ist eine Änderung der aktuellen Gesetzeslage zu erwirken. Auch in Zukunft sollen derart diskriminierende, unter dem Deckmantel der Säkularität verfasste Normen durch eine breitere Öffentlichkeit und intersektionale Solidaritätsbekundungen verhindert werden. Weder das Gesetz ist neutral, noch die Menschen, die es formulieren. Sich der Subjektivität seiner Überzeugung bewusst zu werden ist unseres Erachtens der Schlüssel für ein konstruktives Zusammenleben in Diversität.
Mit Eurer Unterschrift werdet Ihr zu Mitunterzeichner:innen des Statements und steht mit Eurem Namen für grundrechtliche Berufsfreiheit. |
Offener BriefAm 23.02.21 wurde das "Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ (BT-Drs. 19/26839) im Bundestag verabschiedet. Am 07.05.2021 soll der Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Das Gesetz würde damit in Windeseile, ohne eine kritische Auseinandersetzung oder öffentliche Debatte im Bundestag, verabschiedet werden. Durch das Gesetz würde die rechtliche Ermächtigung geschaffen, Beamt*innen das Tragen von "bestimmten Kleidungsstücken, Schmuck, Symbolen und Tätowierungen" zu verbieten, auch dann wenn sie "religiös oder weltanschaulich konnotiert" sind. Das Gesetz hat daher mindestens Auswirkung auf das Tragen der Kippa von Juden und Jüd*innen, das Tragen des Kopftuches von Muslim*innen oder Christi*nnen (Ordensschwestern) und dem Tragen von Turbans der Sikhs. Als Akteur*innen aus unterschiedlichen Kontexten - Feminist*innen, Rassismuskritiker*innen, Wissenschaftler*innen und Menschenrechtsaktivist*innen - setzen wir uns für intersektionale Gerechtigkeit und eine rassismusfreiere und sexismusfreiere Gesellschaft ein. Das Gesetz gefährdet die Berufsfreiheit, die Religionsausübung und die Selbstbestimmung von Menschen, die bereits von Rassismus und Diskriminierung betroffen sind und damit auch die Verfassungswerte dieses Landes, ohne diese Gefahren ausreichend zu berücksichtigen. Das Gesetz widerspricht dem Geist des Grundgesetzes und den menschenrechtlichen Verpflichtungen formuliert in der UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), UN-Antirassismuskonvention (ICERD) und dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Konvention gegen Gewalt gegen Frauen). Wir sehen das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamt*innen in seinem Inhalt und seinem Zustandekommen, das eine politische Debatte zu wünschen übrig lässt, daher als großen Rückschritt im Kampf für eine rassismusfreiere Gesellschaft an. Das geplante Gesetz ist nicht neutral. Im Gegenteil, es ist unneutral: Es setzt die Diskriminierung insbesondere, aber nicht ausschließlich muslimischer Frauen, jüdischer Männer und Sikhs fort, die aus religiöser Überzeugung einer bestimmten Kleidungsvorschrift folgen. Als solche bedient sie auch rassistische Zuschreibungen, denn sie beruht auf dem Trugschluss, dass ein Kleidungsstil neutral sei, während ein anderer dies nicht sei. Dabei werden nicht nur die Individualität und Werte der Träger*innen ausgeblendet, sondern auch die Ausdrucksform der Dominanzgesellschaft als neutrale Norm verstetigt, alles "Abweichende" als “unneutral“ ausgegrenzt. Zugang zum Beamtendienst sollten diejenigen Personen erhalten, die sich den Werten und dem Dienst an den Staat verschreiben und dies in Ausbildung und Praxis bewiesen haben. Einer bestimmten Personengruppe aufgrund ihres Erscheinungsbilds dieses Recht zu verwehren - obwohl die bisherige Praxis keinen Anlass gab - knüpft an das rassistische Muster an, dass man bestimmten Personen nicht vertrauen könne. Neutralität ist nicht durch eine Verbannung des Religiösen aus der Öffentlichkeit zu erreichen. Die Folgen dieses Trugschlusses beobachten wir in Frankreich, das diese Richtung am aggressivsten umsetzt: Die Gesellschaft ist tiefer zerrissen denn je. Neutralität kann aber dadurch erreicht werden, dass alle Menschen – egal welcher religiösen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit - gleichermaßen zu Berufen und Tätigkeiten zugelassen werden. Insofern muss Neutralität aus einer rassismuskritischen und feministischen Perspektive die Vielfalt aller Ausdrucksformen – religiös wie nicht religiöse - und die Sichtbarkeit aller Menschen bedeuten. Kopftuchverbote haben bedauerlicherweise eine lange Tradition der Unterdrückung und Diskriminierung. Nachdem insbesondere Betroffene über ein Vierteljahrhundert gegen diese Diskriminierung angegangen sind, hat das Bundesverfassungsgericht 2015 dem ein Ende bereitet. Es hat festgestellt, dass ein pauschales Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst nicht verfassungsgemäß ist. Mit dem aktuellen Gesetzesvorhaben, wird diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unbeachtet gelassen. Muslim*innen, Juden und Jüdinnen und Sikhs erleben systematisch sexistische und rassistische Diskriminierung in einem besonderen Maße. Im Alltag, in Institutionen, in Freizeit und Beruf. Das Gesetz ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Muslim*innen, Juden und Jüdinnen und Sikhs tagtäglich ausgrenzen und anfeinden. Dass dieses Gesetz von der AfD mitgetragen wurde, ist insofern wenig verwunderlich.
Nachdem unser Appell, sowie zahlreiche weitere Interventionen unbeachtet blieben fordern wir: 1. Ein neues Gesetzesverfahren zu initiieren. Dieses soll zum Inhalt haben, dass eine Ermächtigungsgrundlage zum Erscheinungsbild von Beamt*innen dahingehend konkretisiert wird, dass es sich an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hält. 2. Darüber hinaus bedarf es einer öffentlichen Debatte, unter Beteiligung der parlamentarischen Opposition und der allgemeinen Öffentlichkeit. Ein solch gewichtiger Eingriff in Verfassungswerte, ohne eine gesellschaftspolitische Debatte, entspricht nicht dem demokratischen Geist der Bundesrepublik. 3. Seiner gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden und als positives Beispiel und mit großer Symbolwirkung für eine rassismusfreiere Gesellschaft voranzugehen. 4. Das Gebot der Neutralität nicht zu instrumentalisieren. Maßnahmen, die seiner Wahrung dienen, müssen wissenschaftlich untermauert werden. 5. Repräsentation sicherzustellen, sowohl bei der Verabschiedung solcher Normen als auch in der Beamtenschaft und im öffentlichen Dienst. |
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